Unser Ibiza
„Das wird unsere Insel!“
Als der erste Phönizier auf dem Gipfel des Sa Talaia stand und von dort hoch oben die unglaubliche Schönheit des gesamten Eilands überblickte, wusste er genau: Das wird unsere Insel! Unser Außenposten im Westen des großen Meeres, von wo aus man gut zu weiteren Ufern vorstoßen kann.
Man weihte die Insel Bes, dem Gott der Freude und der Fröhlichkeit, und taufte sie demzufolge Ibes bzw. Ibusim. Und um Bes nicht so alleine zu lassen, gab man ihm Tanit zur Seite, die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Sie beide sollten künftig über die geheiligte Insel wachen, sie beschützen und ihre guten Eigenschaften auf sie übertragen.
Es scheint gewirkt zu haben: Bis heute hat die Erde Ibizas nichts hervor gebracht, was
dem Menschen gefährlich werden könnte
(außer dem Menschen selbst). Kein wildes Tier, kein Skorpion lebt hier, keine Giftschlange – noch
nicht einmal giftige Pilze
wachsen in der geheiligten Erde.
Die Scheichs kennen Ibiza ganz genau
Knapp 3000 Jahre später: In einem Interview mit der Welt am Sonntag sagt der
bekannteste Immobilienmakler der Balearen,
der auf Mallorca lebende Deutsche Matthias Kühn: „Ibiza, das ist Jetset, nicht Mallorca. Ich
habe Projekte vorgestellt in Riad,
Abu Dhabi, Dubai. Die Scheichs kennen Ibiza ganz genau, aber keiner von denen war je auf Mallorca.“
Er selbst zog die Konsequenz daraus und kaufte die kleine Insel Tagomago im Norden Ibizas (benannt
nach dem phönizischen Flottenführer Magon),
wohin er sich zurückzieht, wenn er mal wirklich Ruhe braucht.
Es scheint also etwas dran zu sein, an dieser kleinen Schwester von „Malle“
– damals wie heute. Schon in der Antike spielte sie
die weitaus bedeutendere Rolle für die „Besucher“ aus dem Osten: zunächst die Phönizier
(auch Punier genannt), die hier
den wichtigsten Außenposten ihrer West-Bastion Karthago auf- und ausbauten (Hannibals Vater war hier
Statthalter),
dann die Römer, nachdem sie die Karthager in den punischen Kriegen besiegt und auch aus Ibusim
(römisch jetzt Ebesus)
vertrieben hatten, und später die Mauren (arabisch jetzt Yabisa), die erst 1229 von den Katalanen
verdrängt wurden.
Das Zauberwort heißt „tranquilo“
Sie alle hinterließen ihre Spuren auf dem kleinen Eiland, nicht nur in Ton und Stein,
sondern auch im kollektiven Bewusstsein
der Bewohner: tolerant, fremdenfreundlich, offenherzig, abgeklärt (heute würde man es cool nennen)
und mit einer Lebenseinstellung, die mit dem Wort „tranquilo“, also „immer mit der
Ruhe“, am besten beschrieben ist. Sie haben ihren Stolz und sind gern unabhängig
von jedweder Obrigkeit. Mit der Balearenregierung in Palma de Mallorca haben sie ebenso wenig am Hut
wie mit der Zentralregierung
in Madrid.
Offiziell zählen sie zwar zu den Katalanen, und ihr Herz schlägt auch eher für den FC
Barcelona als für „Real“. Aber dass Barcelona
sie jetzt zwingt, in der Schule Katalan zu lernen, ihre Formulare in Katalan auszufüllen und allen
ihren Städten katalanische Namen
zu geben (Ibiza heißt deshalb jetzt Eivissa), das finden sie eher blöd. Am liebsten machen sie ihr
eigenes Ding und leben in ihrem
Multi-Kulti-Ambiente in friedlich-fröhlicher Gemeinschaft mit Tausenden Zugezogenen aus aller Herren
Länder.
Und mit den Besuchern aus aller Welt, die jeden Sommer wie ein Schwarm auf Ibiza einfallen.
Die Schönheit der Insel und die Mentalität ihrer Menschen machen das Leben oder den
Besuch hier so außergewöhnlich
und entspannt. Sicher ist die Promi-Dichte hier höher als auf Mallorca, nur dass hier niemand den
Promis hinterher glotzt
oder sie gar für ein gemeinsames Foto oder ein Autogramm bequatscht. Die internationalen Musiker und
Popstars,
die Schauspieler, die Maler und Bildhauer, die Schönen, die Reichen und die ganz schön Reichen: Hier
sind alle gleich – und Gott sei Dank kommen (fast) auch nur solche, die das so wollen, es gut finden
und genau deshalb hier sind. Mögen sich die Bohlens und Beckers, die Schiffers und Drews ruhig auf
Malle begaffen lassen, das Szene-Völkchen auf Ibiza hat das nicht nötig.
Es Vedra oder die unheimliche Begegnung
Seit Tanits Zeiten umweht die Insel auch etwas Mystisches. Vor allem Es Vedra, dem
unheimlichen Felsen im Meer vor der Südwestküste, dem Wahrzeichen Ibizas, sagt man magische Kräfte
nach. So soll er schon Kompassnadeln von Schiffen abgelenkt
und Boote verschwinden haben lassen, und glaubwürdigen Augenzeugen zufolge ist er auch ein beliebtes
Anflugziel für Ufos.
Wozu ihm sicher auch seine Ähnlichkeit mit dem Berg aus dem grandiosen Film „Unheimliche
Begegnung der 3. Art“ verholfen haben mag. Jedenfalls sitzen noch heute Esoteriker und
Yoga-Jünger auf der Steilküste gegenüber, den Blick gen Vedra gerichtet, und lassen
sich von seiner magischen Kraft beseelen. Und unterhalb, in den Felshöhlen dieses nicht von ungefähr
„Atlantis“ genannten Küstenabschnittes, sollen noch heute ein paar versprengte Hippies
hausen.
Der Chill-out-Sound wurde hier erfunden
Apropos Hippies: Ihr Drang nach Ibiza und der kleinen Nachbarinsel Formentera Ende der 60er Jahre hat erheblich zum heutigen Kultstatus der Insel beigetragen. Denn in ihrem Gefolge kamen die Musik-Freaks und später die Disco-Gänger aus aller Welt, die Ibiza zum Mekka der Clubbing-Szene mit den größten Discos der Welt gemacht haben, und wo am weltberühmten Café del Mar in Sant Antonio praktisch der Chill-out-Sound zur allabendlichen Sonnenuntergangs-Zeremonie erfunden wurde. Berühmte Musiker wie Mike Oldfield, Nico, Nina Hagen und Freddy Mercury lebten hier, Gruppen wie Pink Floyd, King Crimson, Spandau Ballet und zahlreiche andere ließen sich hier für ihre Musik inspirieren.
Und dann ist da noch „das andere Ibiza“. Das ursprünglich gebliebene Landesinnere mit seinen Feldern, Wiesen und versprengten Bauerngehöften, seinen kleinen Dörfern mit der Wehrkirche, in die man sich zurückzog, wenn Feinde von außen einzudringen drohten. Und der wild-romantische Norden, wo der Tourismus sich noch auf die wenigen etwas größeren Orte beschränkt.
Wohl dem, der auf Ibiza über einen Stützpunkt verfügt, von dem aus er dies alles
erkunden und genießen kann. Und das Glück ist perfekt, am Abend dann die Sonne von der eigenen
Terrasse aus zu verabschieden – in Gedanken an Tanit und Bes, Hannibal und Nostradamus, Oldfield und Nico,
Nina und Freddy – und aus den Boxen klingt Pink Floyds „Set the controls for he heart of the sun“.
Auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens ist man der Lösung dann ziemlich nah.